Jüdisches Leben in Mensfelden

Nach der Begrüßung durch Bürgermeisterin Silvia Scheu-Menzer führte Arbeitskreismitglied Markus Streb an insgesamt sieben Stationen durch die Geschichte von acht jüdischen Familien, ihrem Leben und ihrer Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus. Als besondere Gäste wurden Nachfahren der jüdischen Mensfelder Familie Besmann aus Israel und den USA begrüßt. Die Rückkehr an die Orte, an denen ihre Vorfahren verfolgt und gedemütigt wurden und nur knapp der Ermordung durch das NS-Regime entkommen konnten, war auch eine Herausforderung für die Nachfahren. Umso mehr freuten sich die von weit angereisten Gäste auch über das herzliche Willkommen in Mensfelden und das große Interesse an der Veranstaltung.

Die Zitate von ehemaligen Mensfelder Jüdinnen und Juden gingen den Teilnehmenden des Rundgangs sehr nah und machten die einzelnen Schicksale ein Stück weit lebendig und erlebbar. So berichtete Streb beispielsweise vom jüdischen Ehepaar Josef und Betty Stern, die in der Kirchstraße in Mensfelden lebten und einen Viehhandel betrieben. Sohn Walter war bereits 1935 nach Palästina geflohen. Seine Eltern schrieben ihm regelmäßig Briefe, die Markus Streb von Walter Sterns Sohn Yossi aus Israel zur Verfügung gestellt wurden. Darin geht es vor allem um die alltäglichen Sorgen und den Zerfall der jüdischen Gemeinde. In einem der letzten Briefe an Sohn Walter schreibt Betty Stern am 29. September 1939, kurz nachdem das Ehepaar nach Mainz geflohen ist: „Der Abschied von Mensfelden ist uns nicht schwergefallen.“ Dieser Satz macht den Leidensdruck und die düsteren Zukunftsaussichten der verfolgten Mensfelder deutlich.

In einem anderen Brief vom 6. Oktober 1938 heißt es: „Die Feiertage haben (wir) ruhig verbracht, waren einen Tag in Kirberg und einen in Heringen und gestern, Jom Kippur, hier. […] Heute morgen haben (wir) die Mensfelder Synagoge endgültig aufgegeben und geräumt.“ Das Aufgeben der Synagoge bedeutete sicher weitaus mehr als nur der Verlust der Räumlichkeiten. Die Menschen verloren Heimat, Gemeinschaft und einen Teil ihrer Identität. Die Mensfelder Synagoge, das waren kleine Räumlichkeiten im ersten Stock eines Wohnhauses an der Ecke Laißstraße (heute Sonntagsstraße) und Fahlerstraße, wo man gemeinsam mit den Jüdinnen und Juden aus Dauborn, Heringen und Kirberg Gottesdienste und Versammlungen abhielt. Unweit dieser Ecke machte auch der Rundgang Station.

Die von Streb gewählten Stationen machten deutlich: Die jüdischen Familien gehörten dazu, sie waren Teil der Dorfgemeinschaft. Erzählt wurden Geschichten von Freundschaften, von Theatergruppen und Fußballverein, wo jüdische Mitglieder selbstverständlich waren. Es wurde aber auch deutlich, dass Judenhass und Nationalsozialisten nicht erst 1933 plötzlich da waren. Die Teilnehmenden erfuhren von judenfeindlichen Veranstaltungen der NSDAP, die bereits ab 1930 im Gasthaus Klapper (später Tiroler Hof) stattfanden.

Das Ehepaar Josef und Betty Stern war bereits ab Sommer 1933 mit antisemitischen Verleumdungen durch den damaligen Ortsgruppenleiter Crecelius konfrontiert. Nach den Novemberpogromen 1938 war Josef für einige Zeit im Konzentrationslager Buchenwald. Im März 1942 wurden die beiden von Mainz nach Piaski/Lublin deportiert und in der Shoah ermordet.

Die Teilnehmer konnten den lebendigen und anschaulichen Ausführungen gut folgen und wurden auch nicht ungeduldig, als die angekündigte Dauer der Veranstaltung bereits leicht überschritten war. Im Anschluss folgten noch zahlreiche Menschen der Einladung in den „Raum der Begegnung“ der Erich-Valeske-Halle, um sich bei Kaffee und Kuchen über das Gehörte und eigene mitgebrachte Geschichten zum Thema auszutauschen. Besonders die Gespräche mit den Nachfahren von Mensfelder Jüdinnen und Juden dürften noch lange im Gedächtnis bleiben.